enttäuschen meint doch eigentlich ‚nicht mehr getäuscht sein‘, ‚nicht mehr täuschen‘. täuschen ist doch eigentlich nicht schön, lenkt ab, lässt mich nicht wahrnehmen, wie dix andere ist, eine konkrete situation, legt stattdessen geschichten darüber. geschichten, die von meinen erwartungen genährt sind. ich erwarte was. ich warte. ich bin nicht im jetzt. sondern in einer imaginären zukunft. und warte das was geschieht. so wie ich es mir vorstellen. das ist dann selten so. dann bin ich enttäuscht. enttäuschen im sinne von nicht mehr getäuscht sein ist aber doch eigentlich gut, oder? wie kann es also sein, dass die ‚normale‘ bedeutung von enttäuscht sein so negativ ist in dieser gesellschaft?
enttäuscht sein ist doch so verstanden eigentlich ganz schön gut. wenn ich ent-täuscht bin, dann mache ich mir nichts vor, mir nicht und anderen nicht. dann habe ich keine täuschungsbrille auf, durch die ich mich und andere sehe und dann eben immer anders und verzerrt und nicht ganz passend wahrnehme. dann habe ich keine zukunftsgerichteten er-wartungen, sondern nehme wahr, was gerade und jetzt ist, ohne so eine brille. bin offen für das was ist. wenn ich wahrnehme was gerade und jetzt ist, dann kann ich vielleicht nicht so leicht ent-täuscht sein, dann bleibe ich einfach in der beobachtung dessen, was gerade ist. enttäuschung braucht vorstellung braucht abstand.
enttäuscht sein ist konventionalisiert was negatives: es ist nicht schön enttäuscht zu sein, es ist eine verletzung, von der ich glaube, dass eine andere person sie mir zufügt. enttäuscht sein ist also auch meistens auf eine andere person gerichtet, die irgendwie dafür zuständig oder verantwortlich ist. enttäuscht sein ist ein misslingen von kommunikation, ist ein nicht erfüllen meiner erwartungen. dann bin ich enttäuscht.
wenn ich das wort auseinandernehme, wenn ich ent-täuschung als ‚nicht mehr getäuscht sein‘ lese, dann ist ent-täuschung aber ja eigentlich was tolles. eine erleichterung, eine aufgabe von zurichtenden bildern, aufgabe von projektionen, ein wahrnehmen davon, wie es ist, einfach so, keine projektionen auf andere gelegt.
dass ‚enttäuscht sein‘ in dieser gesellschaft was negatives ist, ganz klar negativ, ein schreckliches gefühl, sagt ja vielleicht auch was darüber aus, was in dieser gesellschaft so normalisiert ist an vorstellungen dazu, wie kontakte von menschen mit- und untereinander sind: sich etwas vorzumachen, erwartungen und bilder sich gegenseitig überzuhelfen, sich nicht einfach wahrnehmen, loslassen, stehenlassen, sondern die andere person bestimmen und zurichten zu wollen entsprechend meinen bildern, die vielleicht häufig auf meinen mehr oder weniger reflektierten und mir bewusst gemachten bedürfnissen beruhen – die andere erfüllen sollen, nicht ich selbst. wenn ich sie einfach wahrnehme, die anderen, wenn ich sie loslassen kann, wenn ich mich nicht von ihr und ihren handlungen abhängig mache, dann kann ich auch nicht ent-täuscht sein. ent-täuscht sein ist so verstanden also eigentlich eine chance auf begegnungen, begegnung von menschen miteinander und nicht länger mit meinen bildern und vorstellungen, die doch nie stimmen oder eben nur für mich stimmen aber nicht wirklich die andere person meinen. nur mein bild von dieser.
mich ent-täuschen ist also vielleicht mehr bei mir ankommen und mehr und mehr die bilder von anderen loslassen – und so dann irgendwann und irgendwie auch anderen begegnen und nicht länger mehr ihrer passgenauigkeit oder –ungenauigkeit in meine bilder.
ent-täuschen wird so zu einem wunsch, zu einer fähigkeit, im jetzt zu sein, bei mir zu sein, meine bilder und projektionen zu mir zurück zu holen, nicht mehr auf andere zu legen. die bilder wegzunehmen und die anderen personen dann dadurch als andere personen wahrnehmen zu können und nicht länger als meine bedürfnisbefriedigungen, die dann immer nur eine zeitlang und ein stückweit funktionieren – und mich dann wieder (konventionalisiert) enttäuscht zurücklassen. enttäuscht sein ist also das, was ich mir selber sein könnte und will, stattdessen nach außen zu verlagern, andere dafür verantwortlich zu machen, anderen die schuld zu geben an meinem mich schlecht fühlen. mich zu ent-täuschen in meinem neu überlegten sinne wäre also ein mehr zu mir kommen und dadurch dann irgendwann auch mehr anderen zu begegnen, als andere.
ent-täuschen, wow, was für ein weg. von der so starken konventionellen einlesung als was negatives hin zu einem anwesenden positiven klaren selbstgefühl.