Amy Liptrot (2017): Nachtlichter. München: Random House.
Für wex zum Lesen zu empfehlen?
Wenn du gerade mit dir haderst und zweifelst. Wenn du das Gefühl hast, dir selbst begegnen zu wollen aber nicht zu wissen wie. Wenn du dir liebevoll begegnen willst. Wenn du die Unterstützung brauchst zu sehen, dass auch schwerste persönliche Krisen durchgehbar sind.
Was noch? Wenn du darüber nachdenkst, ob du dich selbst als süchtig empfindest und was es heißen könnte für dein Leben. Wenn du dich für genaue Naturbeobachtungen interessierst. Wenn du an Verlangsamung deines Lebens interessiert bist. Wenn du überlegst eine Auszeit in der Einsamkeit irgendwo zu nehmen.
Mit dem Lesen des Buches habe ich verstanden, wie tiefgreifend Alkoholsucht das eigene Leben bestimmen kann – und wie schwierig es sein kann sich aus der Sucht wieder zu lösen und nicht von ihr bestimmt zu werden. Aufgebaut ist der Band als Weg der Protagonistin von London zurück auf die Inseln des eigenen Aufwachsens, die Orkney-Inseln im Norden Englands. Die rauhe Landschaft, das spröde Wetter und die spärlichen Einwohn*erinnenzahlen durchziehen die einzelnen Kapitel wie eine Grundmelodie des eigenen Suchens und Findens zurück in ein selbstbestimmtes Leben der Protagonistin. Diese ist nach dem Aufwachsen auf einer der größeren Orkney-Inseln nach London gegangen und dort förmlich eingetaucht in das Nachtleben von Studium und Arbeit als Journalistin, vor allem aber Clubs, Bars, hippen Freund*innenkreisen und Techno-Inseln im Großstadtmeer. Getragen wurde das wortwörtlich und übertragen rauschhafte Leben, das exzessive Feiern und Zusammensein mit ‚Freund*innen‘ durch unterschiedliche Süchte – Drogen, Tabletten, Tabak und vor allem Alkohol. Nach einem jähen Ende einer Nahbeziehung, was die Protagonistin sich lange nicht eingestehen kann oder will, und mehreren Versuchen mit und ohne Gruppen sich der Alkoholabhängigkeit zu entziehen, geht sie schließlich zurück an die Orte des Aufwachsens. Nach einer Phase in der Nähe der Eltern zieht sie schließlich noch einsamer über den Winter in eine leerstehende Vogelbeobachtungshütte auf einer fast menschenleeren Insel.
Beim Lesen begleite ich die Protagonistin auf ihrem Weg und kann Anteil nehmen an ihrem Wünschen, Hadern, Ver_Suchen, Zweifeln, immer wieder neu beginnen. Ich kann auch Anteil nehmen an einer zunehmenden Liebe zur Naturbeobachtung, kann mit ihr über einsame Klippen wandern und lerne in denen wie Essays zu lesenden einzelnen Kapiteln nicht nur viel über die immense Abhängigkeit, die Alkohol im Leben einer Person schaffen kann und der Schwierigkeit, sich diesem wieder zu entziehen, sondern auch über Vögel und menschliches Inselleben, Felsformationen, Fische, Geschichten der Besiedlung, Wetterumschwünge und Nachthimmel.
Das Buch ist absolut lesenswert und sehr schön geschrieben. Es verschmelzen Natur- und Selbstbeobachtungen in einer wellenförmigen, Nachtlichtern gleichen Form mit- und ineinander, ergänzen sich und machen – sofern mensch das nicht sowieso schon hatte – sehr viel Lust auf eine äußere Einsamkeit, die innere Räume eröffnen kann. Ich bin beeindruckt von der Ehrlichkeit von Amy Liptrot beim Schreiben von eigenem Handeln, welches sicher im nüchternen Zustand weit jenseits der eigenen Schamgrenzen liegt. Und ich verstehe, wie gut es ist, dies nicht auszusparen, es zu benennen, offen zu legen, sich selbst zu erzählen, um ein Leben weiter und neu zu leben, welches nicht auf Vermeidungen sich selbst zu begegnen basiert.