Dina Nayeri (2018): Drei sind ein Dorf. Hamburg: Mare.
Für wex zu lesen zu empfehlen?
Für Menschen, die sich von einer komplexen und poetisch geschriebenen Geschichte berühren lassen wollen. Für Menschen, die Worte suchen für Erfahrungen von Ent- und Verwurzelung, Lebens- und Überlebensstrategien, Zerrissenheiten und unformulierbaren Sehnsüchten. Für Menschen, die Geschichten mit Zeitsprüngen und Ortsüberbrückungen mögen, die Lust haben sich in eine spannende berührende Geschichte hineinziehen zu lassen.
Der Roman berührt mich tief und lang – so lang, dass ich nicht direkt einen neuen Roman anfangen mag zu lesen ein paar Tage später. Das ist für mich immer ein untrügliches Zeichen, dass ich ganz in einem Roman versunken, mit ihm mit gelebt habe und nicht bereit bin die Leben so schnell zu wechseln. Und so geht es mir mit „Drei sind ein Dorf“ auch immer noch ein paar Tage später: noch immer frage ich mich, wie es Nilou, der Hauptperson des Romans, heute geht. Ob sie neue oder alte Nahbeziehungen führt und wie diese aussehen, wo sie lebt, wo ihre Eltern leben und wie das Verhältnis von allen miteinander ist. Es bleibt offen am Ende des Romans, und das ist gut so – traurig und freudig und alles gleichzeitig und die Ambivalenz des Endes ist die Ambivalenz des erzählten Lebens von Nilou, geboren im Iran und in der Kindheit mit Mutter und Bruder von dort in die USA emigriert. Der Vater ist zurück geblieben, konnte sich nicht trennen von Gewohnheiten und Süchten, konnte sich nicht entwurzeln und hatte Angst vor neuen Beginnen, irgendwie so vielleicht. Das alles aber erschließt sich erst im Laufe der Zeit in rückerzählten Situationen von Wiederbegegnungen mit dem Vater, zusammen mit dem Bruder, an verschiedenen Orten außerhalb Irans – und das Nicht-Begegnen und die Verletzungen in diesen Begegnungen. Und gleichzeitig erzählt der Roman vom Jetzt-Leben von Nilou, in einer Nahbeziehung mit einer anderen Person, die europäisch geboren und aufgewachsen in den USA die Fremdheit, die Suche nach einem eigenen Raum nicht nachvollziehen kann. Die Geschichte der Begegnung der beiden und ihr Ringen um ein Leben zusammen berührt mich sehr. In einer Lesart wird Nilou irgendwann merken, dass sie zunächst sich selbst begegnen muss, bevor sie anderen liebevoll begegnen kann. Dabei hilft ihr die Begegnung mit iranischen Exilan*tinnen in Amsterdam, wo sie mittlerweile jobbedingt mir ihrer Nahbeziehung wohnt. Die Begegnung weckt Erinnerungen und Sehnen, von dem Nilou vorher vielleicht gar nicht wusste, dass sie es hatte. Dieses Ent_Wickeln eigener Bedürfnisse und Erinnerungen verläuft langsam und schön erzählt – und alles führt am Ende – denn am Ende des Romans sind wir wieder in der Jetzt-Zeit – zu neuen Lebensentscheidungen. Ein großer Roman, eine wunderbar erzählte, auf vielen Ebenen wichtige Geschichte.
Was sonst noch?
Ganz zentral geht es um die Beziehung zum Vater. Der Vater, der im Iran geblieben ist, der sie verraten hat in der Vorstellung des Kindes, verlassen hat, der sie betrogen hat um ein gemeinsames Leben. Es geht um das Nicht-Gesagte und doch so präsente, um die Formen sich zu begegnen und die Arten des Kommunizierens. Und auch das ist nur eine weitere wichtige Dimension in diesem Roman.
Unbedingt lesen!