versicherung teil III: normalisierungsversicherungen
dann kenne ich personen mit umfassenden normalisierungsversicherungen, um sich und andere personen immer wieder zu versichern: ich bin normal, ich habe keine probleme, alles ok? alles im lot, alles easy, that’s life, reg dich nicht auf, es bringt sowieso nichts
die immer pünktlich aufstehen, immer gut drauf sind, immer telefonieren können, die nur husten und erkältung als krankheiten kennen, oder mal einen armbruch, die sich kümmern, um andere, die kontakte pflegen, die abends gern mal ein bier trinken gehen, höchstens zwei, höchstens bis halb elf, die immer was zu sagen haben zu jedem thema und minutenschnell von einem thema zum nächsten wechseln können, wortgewandt, weltvertraut, alles klar, alles ok, die sich und das leben im griff haben, ganz grundlegend,
die ihr leben so beeindruckend im griff haben, die im januar schon wissen wann sie im sommer urlaub machen, wie und wo und mit wex, die ausrüstungen und reisebücher auf vorrat lagern, in wasser- und staubdichten kästen, immer die neuesten entwicklungen für ausrüstung kennen, die eine balance haben zwischen ihrer arbeit und adventure-sportarten, zwischen beziehung und sozialen kontakten, alles im lot, alles im griff, alles in balance,
personen, die immer richtig einparken, nicht mit dem rad auf dem gehsteig fahren, die wissen was sie dürfen und was geahndet ist im öffentlichen raum, die nicht anecken, nicht auffallen, die nicht zur last fallen wollen, nicht dem staat, den freundix der familie, die glauben dass alles so seine ordnung hat, alles so ok ist, dass die regeln schon stimmen, dass sie einen sinn haben, die gesetze, die verbote, die löhne, die entscheidungen, die andere treffen, die banken, die unternehmen, die politik
normalisierungsunauffälligkeitsversicherungen
personen, die wochenenden mit kulturellen und sportlichen events planen, die gesund essen und mäßig nur trinken, ein bier höchstens zwei, lieber noch einen gutes glas wein, die allseitig interessiert sind, tagespolitisch, global national regional lokal, die neuesten filme kennen und manchmal auch ins theater gehen, die gegen rassismus sind, ganz klar und auch beim volksentscheid zu einer nicht privatisierten wasserversorgung in berlin unterschreiben, die das schon auch beeindruckend finden, wenn andere im refugee-camp übernachten, wenn andere in flugzeugen aufstehen, um abschiebungen zu verhindern, die auf der straße sitzen bleiben, wenn wannen mit blaulicht ranrasen, sich an bahnschienen festketten – aber das kennen sie eigentlich sowieso nur aus dem fernsehen
die wissen dass die blumen im blumenladen auf kosten von menschen, die mit pestiziden besprüht werden, angepflanzt und hierhin geschickt werden, die menschen sterben, langsam, qualvoll, nicht nachweisbar, die menschen haben keine versicherungen, nicht die einen und nicht die anderen, die blumen aber halten länger, erste klasse und vollklimatisiert von ecuador nach deutschland, dann noch wochen in meiner wohnung
die bananen in meiner küche auf kosten von menschen die
die edelmetallbestandteile in meinem handy in minen abgebaut, in denen kinder ohne absicherung_löhne zwangsarbeiten, die teppiche in meinem schallisolierten dachgeschoss, das bleifreie 12-teilige art-deco-service, meine dunkel-blau stone-washed jeans, mein neues hybrid-auto, , alles auf kosten der gesundheit_des lebens_wohlergehens anderer, mein elektroschrott fast täglich, in eine orange tonne und dann in die welt und dort weiter das leben anderer menschen zerstörend, vielfach
normalisierungen struktureller diskriminierungen struktureller normalisierter ausbeutungen struktureller benachteiligung durch ressourcenverteilungen; normalisierungen durch ent_wahrnehmungen von bezügen und abhängigkeiten von leben und sterben von möglichkeiten und systematischen verhinderungen; normalisierungen durch verinnerlichungen von ungleichheiten, die als gegeben, als unsichtbar, als unveränderbar machtvoll sich immer wieder herstellen
normalisierungsversicherungen die mir ein leben in der kontinuität kolonialistischer machtverteilung sichern, ich auf der privilegierten seite
normalisierung über wissen und nicht drüber reden und stattdessen lieber über unterschiedliche weinanbaugebiete in italien reden und das beste vietnamisierte restaurant in berlin reden nicht aber über die abschiebungen von vietnamesisierten personen aus berlin, über die besten hotels in thailand reden (im süden – nicht an der grenze zu burma, wo die flüchtlingscamps sind. ach wirklich? o, das wusste ich nicht; wurden menschen abgeschoben in meinem flug? o, das wusste ich nicht;), über banalisierte weiß-statisierte heteronormative alltagsskandale reden, gebannt in medien, skandalisierungen von anderem um das skandalöse meines eigenen lebens nicht zu spüren, über einen film, den alle gesehen haben, den alle toll finden, der so viele preise bekommen hat, ein film in dem eine hetzjagd auf einen ach-so-armen typen-erzieher gezeigt wird, der von einem mädchen eines sexistischen übergriffs bezichtigt wird und der ‚unschuldig‘ ist und sein leben wird zerstört, ein wirklich gut gemachter film, hervorragende schauspieler, jaja, nein nein, das muss ja auch mal gesagt werden, wo das alles hinführt, diese gesamtgesellschaftliche verunsicherung dass alles sexismus sei, nein nein, das muss doch wirklich nicht sein, das ist doch alles normal, wie frauen und männer sich miteinander benehmen, das muss vorsichtiger und differenzierter betrachtet werden, das sind ja schließlich unbescholtene erzieher_väter_gestandene politiker_industrielle_kollegen_vorgesetzte_freunde_lehrer, wie bitte soll ich denn eine person kennenlernen, das ist doch wirklich nicht möglich, man muss doch noch flirten dürfen
heteronormative zwangsopferisierung
normalisierungsversicherungen über runterspielen und kleinreden und lächerlich machen
haha
normalisierungsversicherungen über nicht drüber reden, die skandalisierung von ansprechen von sexismus, nicht sexismus, das ansprechen ist der skandal
absicherung der eigenen privilegierungen durch kleinreden lautreden umdrehungen von vorwürfen abwehren mit vorwürfen von emotionalität und aggressivität
umfassende normalisierungs-versicherungen
die so umfassend normalisierend sind, dass sie im bestmöglichen fall sich wie die eigene haut anfühlen, wie das eigene fühlen, die gar nicht mehr fühlbar sind, die verinnerlicht_naturalisiert mich behäbig zurücklehnen lassen, bananen essend, sms-e schreibend, filme guckend, warm duschend, abfall trennend
lieber das alles oder was heißt lieber – das ist die einzige mögliche seins-form, angekommen in der normalisierung des eigenen erlebens, in der eigenen versicherungshaut, dass es alles zu komplex und zu weit weg und zu wenig greifbar ist, dass ich doch wirklich nichts machen kann, dass damit doch auch nichts besser würde, dass dann sofort doch was anderes losgehen würde, dass ich doch besser erstmal mich jetzt ausruhe, beruhige, noch mal nachdenke, dass doch niemandem damit geholfen ist, wenn ich jetzt auch noch
lieber also das alles nicht spüren_wissen_entmerken als
ich versuche doch wirklich unbescholten und aufrichtig und gut zu leben, wirklich
es ist doch jetzt wirklich zu viel verlangt, dass
wo soll das denn hinführen
etwas spaß muss doch sein!
denn morgen früh muss ich wieder aufstehen
und rechtzeitig da sein, auf der arbeit
muss meine mutter anrufen
muss nachhilfe geben
muss einen blumenstrauß für meine kollegin kaufen, die morgen doch
lieber also das alles nicht spüren_wissen_merken als
ich kenne mich nicht mehr
ich habe mich verloren
in dem ständigen versuch einer normalisierung
einer normalität
eines unauffälligen lebens
ich bin zu einem anhang meiner normalisierungsversicherung geworden
die bedingung ihrer erfüllung
und lebe auf diese erfüllung hin
und lebe
so vielleicht nicht mehr
bin begraben unter meinen versicherungspolicen
normalisierungsversicherungen von leblosigkeit
um ein unkontrollierbares leben zu bannen, zu kontrollieren, im griff zu halten
um eine privilegierte behäbigkeit und gefälligkeit zu vergewissern zu normalisieren
und die diskriminierungen, auf die diese normalisierung beruht,
mir
weiter zu versichern